Kanten für den Kommissar

von Silvia Stammen

Fast jeder Fernsehschauspieler träumt davon, einmal vor laufender Kamera als Kommissar ermitteln zu dürfen. Doch wenn man es dann endlich geschafft hat, kann so eine Traumrolle zwischen Sätzen wie „Wo waren Sie gestern Abend?“ und „Harry, hol schon mal den Wagen!“ auch ziemlich öde werden. Für Feinheiten der Figur und intensive Rollenarbeit mit dem Regisseur lässt der durchgetimte deutsche Fernsehdrehtag kaum Zeit, sodass sich selbst erfahrene Schauspieler am Set manchmal ziemlich allein gelassen fühlen. Der Mann für solche Fälle heißt Frank Betzelt. Als Schauspielcoach hilft er bei der Drehvorbereitung und arbeitet geduldig an der Freisetzung unentdeckter individueller Stärken – ein Training, das in Hollywood sowohl bei angehenden als auch bei etablierten Stars längst als unverzichtbar gilt, sich in Deutschland aber erst allmählich durchsetzt.

In einer hektischen und heiß umkämpften Branche hat Betzelt eine Marktlücke entdeckt, oder besser: Sein künftiges Klientel hat ihn für sich entdeckt, noch bevor er selbst daran dachte, den Job zu wechseln. Angefangen hat alles vor etwa fünf Jahren, als immer mehr Schauspieler auf ihn zukamen mit der Frage „Du, ich dreh’ da was, kannst du mir nicht helfen, das vorzubereiten?“ Damals war Betzelt nach einer Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule und sechs Jahren Schauspielpraxis eigentlich auf dem besten Weg, als Theaterregisseur Karriere zu machen. Er inszenierte erfolgreich in Nürnberg, Augsburg, Münster und Krefeld und wurde als womögliches Wunderkind sogar von einem Großkritiker gehätschelt. „Trotzdem“, meint er im nachhinein, „war ich am deutschen Theater nie so richtig glücklich. Für mich war der Regieberuf auch sehr einsam. Und schon damals war mir die Entwicklung der Schauspieler wichtiger als das fertige Kunstwerk auf der Bühne.

Eine Zeit lang ließ er das Coaching noch nebenher laufen, bis vor zwei Jahren die Nachfrage so groß wurde, dass er sich dazu entschloss, den Regieberuf ganz an den Nagel zu hängen. Bereut hat Betzelt seine Entscheidung bisher noch keinen Augenblick. „Der Hauptgrund ist, dass mir das Coaching einfach mehr Spaß macht, auch wenn das viele Leute nicht verstehen können. Zu sehen, wie sich Menschen über Jahre hinweg entwickeln und entfalten, ist für mich wahnsinnig befriedigend. Dazu etwas beitragen zu können, macht mich glücklich.“

“Und wie funktioniert es nun, das geheimnisvolle Aufbauprogramm für Psyche und Präsenz? „Wie das im konkreten Fall aussieht, ist schwer zu beschreiben“, meint Betzelt. „Das ist auch gar nicht spektakulär. Man redet viel, probiert Verschiedenes aus und irgendwo findet man dann den Schalter. Das kann mal lange dauern, und manchmal genügt auch ein ganz einfacher Hinweis.“

Einer empfindsamen Schauspielerin, die eine resolute Arbeiterfrau zu spielen hat, kann es zum Beispiel helfen, die ganze Rolle erst einmal in ihrem Dialekt zu lernen und anschließend wieder ins Hochdeutsche zurückzuübersetzen. Und anstatt auf die Nachricht vom Tod des Vaters mit einem großen Gefühlsausbruch zu reagieren, riet Betzelt einem Kollegen, in der Szene an einen ganz banalen Subtext wie „Mist, ich habe vergessen, Butter einzukaufen“ zu denken. „Das hatte dadurch plötzlich einen ganz starken Realitätsgehalt“, erinnert sich Betzelt, „aber natürlich lässt sich die Arbeit eines Coachs nicht auf solche handwerklichen Tricks reduzieren. Das hat auch viel mit Vertrauen zu tun. Erfahrung und persönliches Einfühlungsvermögen sind entscheidend, und letztlich ist es eine Frage der Chemie, ob daraus dann eine kontinuierliche Zusammenarbeit wird.“

Zwischen einer und 30 Stunden gönnen sich die Akteure zur Vorbereitung auf eine Hauptrolle. Manche nehmen sich auch zwischendurch Zeit für Szenentraining in der Gruppe. Und selbst Regisseure holen sich Rat in Sachen Schauspielerführung, denn, so Betzelt, „man kann einen Schauspieler beim Dreh sehr unterstützen, aber auch sehr behindern – ein Bereich, der bei der Ausbildung an den Filmhochschulen grundsätzlich zu kurz kommt“. Dagegen ist das Verhältnis zu den Regisseuren seiner Schützlinge manchmal nicht ganz einfach. „Viele erfahren gar nichts davon, einige reagieren eher misstrauisch, aber manche sagen auch, ’das finde ich interessant, den möchte ich mal kennen lernen’, worüber ich mich natürlich freue.“

Dabei legt Betzelt Wert auf die Feststellung, dass seine Tätigkeit nichts mit Nachhilfeunterricht für Problemfälle zu tun hat. Im Gegenteil, am liebsten unterstützt er Schauspieler, die Talent haben und Lust, immer weiter an sich zu arbeiten. Um selbst neue Impulse zu bekommen, fährt er regelmäßig nach Los Angeles, um dort die Großen seiner Zunft bei der Arbeit zu beobachten. „Im Grunde ist das Forschungsarbeit, was wir da machen. Es ist verblüffend, wie viele bekannte und erfolgreiche Schauspieler nur über Intuition arbeiten. Solche Leute kommen dann zu mir, weil sie spüren, dass sie hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben – auch wenn sonst alle zufrieden sind.“

Berührungsängste, die es noch vor kurzem gab, nehmen inzwischen auch in Deutschland stark ab. An die 70 Akteure hat Betzelt allein in diesem Jahr betreut, darunter etliche namhafte, die er – Diskretion ist Ehrensache – nicht ohne ihr Einverständnis outen will. Eine, die damit kein Problem hat und sich auch schon öffentlich für seine Unterstützung bedankte, ist Anneke Kim Sarnau. Schon zweimal bekam sie den Grimme-Preis mit Gold, zuletzt 2002 für die Hauptrolle in Marc Rothemunds Fernsehfilm „Die Hoffung stirbt zuletzt“, in dem sie eindrucksvoll den authentischen Fall einer Polizeianwärterin verkörpert, die durch das Mobbing ihrer Kollegen in den Selbstmord getrieben wird. Auch Marie Zielcke, bekannt aus dem Film „Lammbock“, die am 18. September in Hartmut Schoens Krimidrama „Zuckerbrot“ in der ARD zu sehen sein wird, schwört auf ihren Coach, und Oliver K. Wnuk und Jürgen Tonkel, zwei der vier Kommissare in dem hochgelobten Neustart der Serie „Die Männer vom K3“, haben mit Betzelt an den Ecken und Kanten ihrer Figuren gearbeitet. Ein Erfolg, über den sich Betzelt als stiller Teilhaber freuen kann.