Der Mann, der Schauspieler zu Stars macht
von Hanns-Georg Rodek
….springt der Schauspieler-Coach Frank Betzelt ein. Heute kann sein Schützling Hannah Herzsprung zwei Deutsche Filmpreise gewinnen.
Es ist Januar, wir befinden uns beim Bayerischen Filmpreis, und Hannah Herzsprung, für „Vier Minuten“ als Beste Nachwuchsdarstellerin gekürt, dankt den üblichen Verdächtigen: der Schwester, dem Regisseur, den Kollegen. Dann, plötzlich, ein Unbekannter: „Vor einem Casting gibt es nur eine Nummer, die ich wähle – die von Frank Betzelt und wenn ich dann einen Termin habe, weiß ich, alles wird gut!“ Dieser Betzelt übt einen Beruf aus, den es hierzulande gar nicht gab, bevor er ihn erfand. Nicht Agent. Nicht Fitnesstrainer. Nicht Schlappenschammes.
„Sind Sie Schauspiellehrer?“
„Der kleinere Teil dessen, was ich tue. Aber zu mir kommen viele, die schon 20 Jahre im Beruf sind, denen muss ich kein Handwerk mehr beibringen.“
„Eine Art Nachhilfe?“
„Für jemanden, der das Klassenziel nicht erreicht hat? Das trifft bei wenigen meiner Schauspieler zu. Die meisten erreichen es, sagen sich aber: ,In mir steckt noch mehr‘.“
„Also eher Geburtshelfer?“
„Wir entdecken gemeinsam verborgene Fähigkeiten. Erarbeiten gemeinsam Rollen. Und jede Figur ist eine neue Geburt. Ja, das gefällt mir.“
„Auf Neudeutsch: Coach.“
„Der gebräuchlichste Begriff. Er umfasst vieles. Anfangs kamen nur Schauspieler, dann Regisseure, inzwischen sogar Leute aus der Wirtschaft.“
Doch wir greifen vor. Anfang der Neunziger stand Frank Betzelt auf der Bühne und spürte seine Grenzen. Die Regie lag ihm schon mehr, aber „die Machtspiele am Theater haben mir nie Spaß gemacht. Ich habe 15 Jahre gekämpft. Dann hatte ich dazu keine Lust mehr“. Und noch etwas hatte er an sich entdeckt: „Mir ist der Prozess des Rollenstudiums wichtiger als das Ergebnis. Als Regisseur muss mir aber das Ergebnis am wichtigsten sein.“
Wie häufig in der Krise war der Ausweg in ihr schon angelegt. Der Regisseur Betzelt bereitete öfters Schauspieler auf ihre Parts vor, und bald kamen sie auch zu ihm, wenn er gar nicht inszenierte. Was da geschieht, ist – nüchtern wirtschaftlich betrachtet – ein Outsourcing. Theater-, Kino- und Fernsehproduktionen streichen zunehmend die Zeit für Proben zusammen. Bei Seifenopern und selbst manchen „Tatorten“ wissen die Schauspieler, dass der Regisseur kaum mehr Regie führen wird. Er wird für eine Atmosphäre am Set sorgen, aber seine Anweisungen werden sich auf „Bitte“ und „Danke“ und „Halte den Blick ein bisschen länger“ beschränken. Von inhaltlicher Arbeit keine Spur. Der Darsteller bleibt allein mit seiner Figur.
Es sei denn, er engagiert Frank Betzelt, für 100 Euro die Stunde. Der setzt sich mit an den Tisch, Drehbuch in der Hand, und beide lesen, erkunden, formen die Rolle. Man kann auch einfach mit dem Vorsatz kommen, besser zu werden. „Wenn ich mir anschaue, was ein Schauspieler spielt, ahne ich schon, was noch so in ihm steckt. Trotzdem wundere ich mich manchmal, was alles zum Vorschein kommt.“
Auch die Hannah Herzsprung in „Vier Minuten“ ist nicht vom Himmel gefallen. Davor lagen sieben Jahre Betzelt: „Natürlich war sie nicht jede Woche da. Aber sie hat an Seminaren teilgenommen, wir haben viele Rollen vorbereitet.“ Und er hat mit ihr „Präsenzarbeit“ betrieben: „Es geht darum, mit allen Sinnen und dem ganzen Körper anwesend zu sein. Oft ist man mit seinen Gedanken woanders. Wir trainieren, vollständig präsent zu sein, bevor man in die Rolle geht.“
Mit einer wie Hannah Herzsprung muss man sogar weiterdenken als der Regisseur. Chris Kraus hat in seinen „Vier Minuten“ offen gelassen, ob ihr Charakter schuldig oder unschuldig als Mörderin einsitzt. Darauf konnte sich Betzelt mit Herzsprung nicht zurückziehen: „Hannah will ihre Figur gefühlsmäßig verstehen. Sie musste für sich eine Entscheidung treffen: Hat sie den Vater ihres Freundes umgebracht, oder der Freund? Wie sie entschied? Verrate ich nicht.“
Einerseits füllt der 45-Jährige aus Wiesbaden eine Marktlücke, andererseits weiß er um die Gefahr, auf gestandene Füße zu treten. Die Agenten haben diesen neuen Mitspieler anfangs argwöhnisch betrachtet, und Regisseure mit Zeitpolster impfen ihren Darstellern lieber die eigene Vision ein.
Doch letztendlich befördert die neue Film-Ökonomie das Coach-Modell. Es ist für Produzenten billiger, zehn Stunden bei Betzelt zu bezahlen als einen zusätzlichen Drehtag mit Proben. Das haben auch Agenten wie Andrea Lambsdorff erkannt, die Frank Betzelt als Erste Klienten vorbeischickte. Inzwischen reicht es, wenn Schauspieler beim Quatschen in der Drehpause eben nicht ihren Psychiater weiter empfehlen, sondern ihren Coach. „Regisseure reden kaum miteinander“, bedauert Betzelt, „da sie permanent beweisen müssen, dass sie alles können. Dabei wäre der Bedarf bei ihnen viel größer, weil Schauspielführung in der Regieausbildung kaum unterrichtet wird.“
Betzelt ist diskret, wenn es um seine Kundschaft geht. Wir wissen von Maria Furtwängler, Jessica Schwarz, Lavinia Wilson, Natalia Avelon, Mina Tander, Hans Werner Meyer, Bernadette Heerwagen, Wayne Carpendale, Anneke Kim Sarnau, Marie Zielcke, Jürgen Tonkel. Auch Etablierte kommen zur beruflichen Frischzellenkur, möchten dies aber nicht an die große Glocke gehängt wissen.
Das ist anders in Amerika, wo fast jeder Schauspieler mit einem Coach arbeitet; Jack Nicholson etwa hat 20 Jahre lang welche zerschlissen. Deutschland ist noch geteilt. Betzelt ist von München („Da sind viele Schauspieler etwas bequem“) ins hungrigere Berlin gezogen. Und unter der Marke „Coachingteam Frank Betzelt“ hat er vier Kollegen in Köln, Hamburg, Berlin und München angelernt, die seine Methoden anwenden. Die fünf sind längst nicht mehr allein: „Die Konkurrenz sprießt wie Pilze aus der Erde.“